Was bedeutet Luxus für Dich Anneanne?
(Anne bedeutet auf Türkisch Mama => Anne-anne = Großmutter mütterlicherseits, Baba-anne = Großmutter väterlicherseits)
1931 wurde ich in einem kleinen Dorf in Zentralanatolien geboren. Ich bin eines von 8 Geschwistern und aufgewachsen zwischen Traubenfeldern, Kühen und Schafen. Es gab in unserem Dorf keine Schule, die wir als Kinder hätten besuchen können, deswegen habe ich damals leider weder lesen, noch schreiben gelernt.
Mit 16 wurde ich verheiratetet, mit 20 bin ich nach vielen Versuchen dank einer Hormonbehandlung schwanger geworden und habe dann meine erste Tochter auf die Welt gebracht.
Mein Mann war immer bestrebt, uns ein anständiges Leben zu ermöglichen und hielt deswegen unermüdlich Ausschau nach besseren Arbeitsmöglichkeiten.
Als meine Tochter 2 Jahre wurde, sind wir nach Istanbul gezogen: Mein Mann hatte dort eine Stelle bei der Türkischen Bahn gefunden: als Kohleschipper. Wir kamen unter in einer sehr kleinen Wohnung mit alten Möbeln und unsere Lebensumstände waren verheerend.
Mein Mann sah sich weiter um und fand irgendwann eine Stelle bei der Turkish Airlines. Unsere Situation verbesserte sich und er durfte sogar als einer der ersten Passagiere 1968 als Tourist nach Deutschland fliegen. Er kam freudig zurück, weil es dort Möglichkeiten gab zu arbeiten und so flog er ’69 wieder hin, fand sofort eine Stelle bei VW und fing an, dort zu arbeiten.
Neues Leben in Deutschland
Ich war 35 als ich mit meinen zwei Kindern nachkam. Am Anfang war es nicht leicht für uns: Wir hatten kein Geld, haben uns verschuldet und mein Mann, meine Tochter und ich – alle drei haben wir gearbeitet, um uns über Wasser zu halten.
Dann fand ich eine Stelle als Putzfrau im Krankenhaus. 30 Jahre habe ich dort gearbeitet und bin dann in Rente gegangen und mit meinem Mann in die Türkei zurückgekehrt.
Kurze Zeit später ist mein Mann an einem Herzinfarkt gestorben und ich blieb alleine zurück.
Gemeinsam Zeit verbringen
Mein Luxus waren immer schon meine Kinder, meine Enkelkinder und Pflanzen.
Ich liebe meine Pflanzen! Wenn ich morgens aufwache, gehe ich zu ihnen und spreche sie an – mit den Namen meiner Kinder und Enkelkinder:
„Ceylan rufe ich dann…, Aslıhan…, Kamu…“
Mit meinen Kindern und Enkelkindern Zeit zu verbringen, ist mein großer Luxus, denn die meiste Zeit bin ich von ihnen getrennt und alleine.
Auch mein Telefon gehört dazu, denn damit kann ich sie anrufen und sogar sehen, auch wenn meine Augen immer schlechter werden.
Dankbarkeit in meinem Leben
Ich habe mein Leben lang gearbeitet und bin von niemandem abhängig. Ich lebe ein sehr schönes Leben, es geht mir gut und dafür bin ich dankbar.
Aber wenn ich mal Besuch bekomme, geht es mir sehr gut. In Zeiten von COVID sind die Besuche eingeschränkt, seit Monaten ist noch nicht mal ein Besuch von Verwandten erlaubt, aber ich halte mich wacker.
Und für meine Wohnung bin ich dankbar! Ich lebe sehr luxuriös in einer großen Eigentumswohnung. Ich habe heißes Wasser, einen Aufzug und kann mir von meiner kleinen Rente sogar eine Haushaltshilfe leisten: Da ich schon fast 90 Jahre bin, begleitet sie mich sogar ab und zu zum Arzt.
Am schönsten aber ist es, wenn wir uns ein Frühstück machen und zusammen sitzen und reden.
Mein allergrößter Luxus?
Meine Gesundheit. Ich kann schlecht laufen und meine Augen werden schlechter, aber sogar dafür bin ich dankbar. Jeden Tag! Jeden Tag bin ich dankbar für das Leben, was mir geschenkt wurde und für meine Gesundheit.